SeelenManchmal erwische ich mich, zum Beispiel in einer Schlange stehend, das ich mich frage, „was wäre wenn“.

Was wäre, wenn ich mich am Morgen für einen anderen Tag entschieden hätte, eine andere Schlange, ein anderer Ort oder ich vielleicht sogar einfach nicht aufgestanden wäre?

Wie viele Leben gibt es? Wie viele Optionen? Gibt es sie wirklich, diese anderen „Ichs“, die parallel zu mir mein Leben führen, und doch durch eine einzige andere Entscheidung ein ganz anderes? Und welche Entscheidung genau war es dann? Ist „ihr“ Leben dann besser? Ist „sie“ glücklicher?

Und wenn es so wäre, muss es dann nicht auch zwangsläufig die Anderen geben? Die, die eine falsche Entscheidung ( und ich hoffe inständig, das es nur eine war) getroffen haben? Wie viel schlechter geht es „ihr“? Und wie viel mehr könnte sie noch ertragen? Wie viel ist noch nötig, bis sie „genug“ sagt, oder bis sie zusammen bricht? Wird sie zusammen brechen? Oder ist die vielleicht viel stärker als ich? Und wenn es so wäre, sollte ich mir nicht lieber an ihr ein Beispiel nehmen? Ist es wichtiger, durchhalten zu können? Um wie viel ist das besser, als einfach, vielleicht sogar noch mit Glück, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben? Wo soll ich da den Unterschied machen? An was kann man das messen? Und muss immer alles gemessen, gewogen und befunden werden?

In Gedanken fahre ich mein Leben ab. All die Entscheidungen, die Kreuzungen an denen ich stand, und mich für eine Richtung entscheiden musste. Was ist aus den anderen Wegen geworden? Wo gab es später noch mal eine Gelegenheit, einen Blick zu werfen, oder gar die Spur zu wechseln? Und doch bin ich unsicher. Wenn es diese Gelegenheit gegeben hätte, hätte ich mich wirklich anders entschieden? Hätte ich mich für einen Kurswechsel entscheiden können? Hätte ich das überhaupt gewollt? Ist es nicht genau das, was es uns manchmal so schwer macht, Entscheidungen zu treffen?  Wie oft habe ich mir schon gewünscht, einen Tag, eine Woche oder einen Monat weiter sein zu können, nur um zu wissen, das es eine gute Entscheidung war. Es ist genau dieses: das Wissen beziehungsweise das Nicht- Wissen das uns alles Erdenkliche hinterfragen lässt, das das Spüren nach uns selbst auslöst.

Es sind diese „was wäre wann“ Fragen und diese „ich kann mir vorstellen“ Antworten, die uns helfen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich entscheide, wie mein Tag wird, jede Stunde, das ganze Leben. Ich will das so. Man kann sowas durchaus auch Anderen überlassen. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Tief im Inneren weiss ich, das ich bin wer ich bin, weil ich selbst entschieden habe, weil ich die Konsequenzen durchdacht und für tragbar befunden habe. Am Ende der unendlichen „Was-wäre-wenn“ Diskussion mit mir selbst steht eigentlich immer die selbe Frage: Welchen Entscheid bereue ich heute. Wo hätte ich es den jeweiligen Umständen entsprechend besser machen müssen? Und diese Antwort ist auch immer die Selbe. Keine meiner Entscheidungen wäre anders ausgefallen. Und selbst wenn ich mir mehr Optionen gewünscht hätte bei der ein oder anderen schweren Entscheidung, so standen sie zu dem Zeitpunkt nie zur Verfügung.

Hätte mein leben einfacher sein können? ja, klar.

Hätte ich es so haben wollen? nein, ganz sicher nicht

Ich bin gern hier. Genau an diesem Ort. Genau mit diesen Leuten. Genauer betrachtet hätte es gar nicht anders kommen können. Zwischen mir und meiner Herkunft liegt der längste Weg, den ich bisher zurück gelegt habe. Und doch war ich mir selbst nie näher. Ich bin bei mir angekommen.

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