Ich wurde überfallen. In dem Restaurant, in dem ich arbeite. Zwei Minuten bevor wir sowieso geschlossen hätten. Die darauf folgende Nacht wollte und wollte nicht zu Ende gehen. Ich stand im Restaurant, fassungslos, bewegungslos. Irgendwann rief ich die Polizei.
Der Chef kam zurück, ohne den Übeltäter. Die Polizei liess sich über 30 Minuten Zeit. Das Gespräch geisterte schon seit Tagen durch die Stadt, ein anderes Restaurant soll bereits auf genau diese Art überfallen worden sein. Wir hatten davon gehört, aber eine richtige Bestätigung hatten wir bis dahin nicht. Mein Kellnerporteommaie war weg, der Schaden hielt sich im Grenzen. Die Abrechnung war längst fertig, und wir hatten wirklich kein Geld im Restaurant, schon gar nicht oben, ungesichert. Als Die Polizei endlich da ist, dauert es ewig. Protokoll, Fragen, sie machen sogar Fingerabdrücke von den Möbeln die der Täter berührt hat, nehmen einem jedoch im gleichen Atemzug die Hoffnung, bei der Untersuchung erfolgreich zu sein. Morgens um 4 kann ich endlich heim. Bei der Einfahrt zur Garage kommt mir mein Schatz entgegen. Er ist auf dem Weg zur Arbeit. Er schimpft, wo ich so lange war. Das es unerhört ist von mir. Ich erzähle kurz was passiert ist, und er fragt nur warum ich nicht angerufen hätte. Ich war so verstört, das ich gar nicht denken konnte.
Ich hab selbst jetzt immer noch den Revolver vor Augen, und dieses Gefühl, gefangen zu sein. In der Falle zu sitzen und nicht raus zu kommen. Die wenigen Meter bis zur Kellertreppe, bis zur Hilfe, sie dehnen sich endlos, sind so weit entfernt. Dieses Gefühl schnürt mich zu. Es blockiert jede weitere Bewegung. Jedes Denken ist eingefroren.
Er fährt zur Arbeit und ich geh ins Bett. Die nächsten Wochen sehen alle gleich aus. Ich stehe auf, nehme mir einen Kaffee, und setze mich aufs Sofa. Wenn ich arbeiten muss, mache ich mich fertig, und gehe arbeiten. In der Mittagspause fahre ich heim, ziehe mich aus, und roll mich auf dem Sofa ein. Kurz bevor ich wieder los muss, kommt mein Schatz heim. Wir trinken einen Kaffe auf dem Balkon und dann muss ich los. Wenn ich heim komme, schläft er längst. Früher haben wir die kurze Zeit am Nachmittag genutzt und uns unterhalten, freie Tage geplant, oder einfach nur die Zeit miteinander genossen. Das geht grad gar nicht. Ich kann nicht mit ihm reden. Ich kann mit keinem reden. Alles wird schlimmer. Im Restaurant kann ich mir immer weniger merken. Alles muss ich aufschreiben. Abends, wenn Gäste ins Restaurant kommen, die ich nicht kenne, und die auch nur ungefähr die Grösse oder das Alter des Täters haben, bestimmt nur ein Gedanke meinen Kopf: Ist er das? Die Haare? Die Augen? Die Stimme? Und das jeden Abend, immer wieder aufs Neue.
Eines Mittags kommt der Polizist wieder, der den Fall damals aufgenommen hatte. Es ist Wochen her, und ich erkenne ihn nicht mal. Nach dem Essen kommt er noch für einen Espresso an die Bar. Es schaut mich an und fragt.“Wie geht es Ihnen?“ Diese einfache Frage lässt mich zusammen brechen. Von gleich auf jetzt fange ich an zu heulen. Kein Schluchzen oder tränenreiches Weinen, nein ich heule los, als wäre gerade alles um mich zerbrochen. Ich weiss es in diesem Moment nicht, aber genau so ist es auch. Der Boden auf dem ich gehe, obwohl es aktuell wohl eher ein schwanken ist, ist nicht viel grösser, als meine Füsse, die darauf stehen. Jedes bisschen könnte mich umwehen und ich verschwinde im Nirvana meiner sich im Kreis drehenden Gedanken. Ich schlafe nicht wirklich. Wenn ich ins Bett gehe, sehe ich immer wieder die selbe Situation vor mir. Der Angreifer steht neben dem Tresen, ich seh die Kugeln in der Trommel, und ich muss unbedingt zur Kellertreppe. Alles, was ich versuche, jede Bewegung die ich mache, hat nur ein Ergebnis. Er drückt ab. Aber ist nicht so, das ich aufwache, das ich das abschütteln und dann schlafen kann. Es geht weiter. Der nächste Versuch. Das nächste Scheitern. Wenn ich dann aufstehe bin ich tausend Mal an mehr oder weniger der selben Stelle gestorben. Und weiss es nicht.